Sterbehilfe-Urteil: Wie soll es weitergehen?

Das seit 2015 in Deutschland geltende Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz: Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) im Februar die entsprechenden Regelungen des Paragraphen 217 im Strafgesetzbuch gekippt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, so das Gericht, umfasse als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen – und auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass niemand verpflichtet werden könne, Suizidhilfe zu leisten.

Wie soll es nun weitergehen?

Das Westfälische Ärzteblatt begleitet die seither geführte Diskussion und hat Persönlichkeiten nicht nur aus der Ärzteschaft eingeladen, ihre Standpunkte und Sicht der Dinge darzulegen.

   „Hilfe zum Leben statt Hilfe zum Sterben“ – Erklärung der Liga Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben

Die Erklärung der Liga der Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben finden Sie hier.

 

  Diskussionsrunde bei "Hart aber fair"
In der Sendung mit dem Titel "Gottes Wille oder des Menschen Freiheit: Was zählt beim Wunsch zu sterben?" diskutierten die Gäste darüber, wie dem Suizidwunsch von Menschen begegegnen werden sollte.
Gäste:

  • Georg Bätzing, Bischof von Limburg, Vorsitzender der Dtsch. Bischofskonferenz
  • Dr. Susanne Johna, Internistin, Oberärztin im Sankt Josefs-Hospital Rüdesheim, Vorsitzende des MB, Vorstandsmitglied der BÄK
  • Bettina Schöne-Seifert, Professorin für Medizinethik an der WWU
  • Olaf Sander, begleitete seine Mutter beim Suizid 
      Hier finden Sie das Video zur Sendung.

Sterbewunsch: Wo liegen die Grenzen?

Beistand für Sterbende ist seit jeher ärztliche Aufgabe – für Ärztinnen und Ärzte, die sich mit dem Wunsch nach ärztlich begleitetem Suizid konfroniert sehen, muss jedoch ein verlässlicher Handlungsrahmen geschaffen werden, betont Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe: 

Es war ein Einsatz, wie man ihn im Rettungsdienst lieber nicht erleben möchte: Als der Notarzt am Einsatzort eintraf, lebte der Patient noch – und hätte doch eigentlich lieber tot sein wollen. Den Unfall, bei dem der Mann schwer verletzt wurde, hatte er selbst provoziert. Ein Zettel, vor dem Unfall geschrieben, ließ keinen Zweifel: Patientenwille war es zu sterben. Wie sollte der Notarzt handeln: den Patienten versorgen, seinen Willen respektieren und nicht eingreifen oder … Mehr


Normalisierung des Suizids entgegenwirken

Bereits am Tag der Urteilsverkündung durch das Bundesverfassungsgericht forderte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt, dass eine künftige „Normalisierung“ von Suidzid durch eine organisierte Beihilfe zur Selbsttötung verhindert werden müsse: 

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens weiten Raum zugesprochen. Gleichwohl sieht es aber auch die Notwendigkeit für eine gesetzgeberische Regulierung der Beihilfe zur Selbsttötung. So weist das Gericht darauf hin, dass von einem unregulierten Angebot geschäftsmäßiger Suizidhilfe Gefahren für die Selbstbestimmung ausgehen können. Es führt außerdem aus, dass dem Gesetzgeber zum Schutz dieser Selbstbestimmung über das eigene Leben in Bezug auf organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten von Einschränkungen offensteht. Mehr


Suizidhilfe als Grundrecht – Suizidhilfe-Verweigerung und ärztliches Ethos

von Prof. Dr. Thomas Gutmann und Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert

Im Februar hat das Bundesverfassungsgericht in einem bahnbrechenden Urteil Grundfragen zur Hilfe bei freiverantwortlichen Suiziden  beantwortet und – erwartbar – einen Sturm sehr unterschiedlicher Verlautbarungen hierzu ausgelöst. So konnte man in einer Presseerklärung des Präsidenten der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Hans-Albert Gehle, vom 22. Februar lesen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei „eine Bestätigung der Position der westfälisch-lippischen Ärzteschaft“, denn „der suizidalen Begehrlichkeit eines lebensmüden Menschen nachzukommen, also das Töten auf Verlangen umzusetzen“ sei „für den Arzt ethisch und gesetzlich nicht vertretbar“. Diese Feststellung verlangt nach Klärungen, die wir im Folgenden leisten möchten. Mehr


Entscheidung zum Suizid noch einmal revidiert

Wunsch nach Hilfe bei der Selbsttötung: Palliativmedizin kann helfen, Patienten aufzufangen

Die Bitte um Hilfe bei der Selbsttötung muss nicht das letzte Wort sein: Dr. Ulrike Hofmeister hat schon oft erlebt, dass Patientinnen und Patienten ihren  Entschluss revidieren, wenn sie sicher sein können, in ihrer letzten Lebensphase gut versorgt zu sein. Die Palliativmedizin spielt dabei eine zentrale Rolle, berichtet Dr. Hofmeister im Gespräch mit dem Westfälischen Ärzteblatt. Mehr


Ethik und Recht zwischen Würde und Autonomie

Anmerkungen zum Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 26.02.2020 von Prof. Dr. theol. habil. Peter Schallenberg, Paderborn/Mönchengladbach

1. Zulässigkeit des assistierten Suizids?
„Suizid ist eine extreme Möglichkeit der Selbstbehauptung des Menschen, die zugleich eine radikale Selbstverwirklichung realisiert. Theologische Ethik, die vom Evangelium als der Erlaubnis zum Leben her denkt, muß den Suizid nicht prinzipiell zum Verbotenen zählen, da es subjektiv gute und intersubjektiv nachvollziehbare Gründe geben kann.“ Mehr


„Beihilfe zur Suizid-Vermeidung”

„Herr Doktor, ich möchte eigentlich gar nicht mehr.“ – Sätze wie diesen haben viele Hausärztinnen und Hausärzte und auch Dr. Alexander Graudenz schon gehört. Für den Allgemeinarzt und Qualitätsbeauftragten der palliativmedizinischen Versorgung in Westfalen-Lippe aus Detmold ist es ärztliche Aufgabe,  solchen Äußerungen nachzugehen – und im Falle eines ernst- und dauerhaften, nachvollziehbaren Wunsches nach Hilfe bei der Selbsttötung sollten Ärzte diesem auch nachkommen dürfen, findet Dr. Graudenz. So weit muss es indes nicht kommen: Auch das Versprechen, bei der Selbsttötung Hilfe zu finden, kann Menschen von ihrem Suizidwunsch abbringen. Mehr


Sterbehilfe in den Niederlanden – Erfahrungen des deutschen Arztes Dr. Marcel Coenen

Das Thema aktive Sterbehilfe wird in Deutschland seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 wieder kontrovers diskutiert. In den Niederlanden ist die aktive Sterbehilfe seit 20 Jahren gesetzlich geregelt: Sie ist auch dort generell strafbar – es sei denn, klar definierte Sorgfältigkeitskriterien sind erfüllt. So muss es sich beim Sterbewunsch um eine freiwillige, wohlüberlegte Entscheidung des über die Erkrankung und  Prognose gründlich aufgeklärten, aussichtslos und unerträglich leidenden Patienten handeln. Dieser muss fest davon überzeugt sein, dass keine andere zumutbare Lösung möglich und ein Weiterleben unerträglich ist. Mehr


Eine Extremsituation im hausärztlichen Berufsleben – Sterbewunsch

von Dr. Volker Schrage
Ende der 90er Jahre betreute ich über lange Zeit in einem Pflegeheim eine schwer kranke Patientin, über deren Schicksal ich heute noch häufig nachdenken muss. Sie war 48 Jahre alt. Durch eine fortgeschrittene Multiple Sklerose war sie tetraplegisch und litt trotz aller Therapieversuche an massiven Kontrakturen. Eine Mobilisierung der Patientin war nicht mehr durchführbar. Zur Dekubitusprophylaxe und Schmerzreduktion wurde sie regelmäßig gelagert. Kommunikation erfolgte zu diesem Zeitpunkt nur noch über mehr oder weniger unartikulierte Schmerzlaute und gelegentlichen Augenkontakt. Sie erhielt regelmäßig große Mengen an Schmerzmitteln, Muskelrelaxantien und situationsbedingt angepasste Psychopharmaka. Physio- und Ergotherapie gab es für die Patientin ebenso wie Logopädie und natürlich auch die regelmäßige Konsultation eines bekannten Neurologen. Die Medikamente wurden parenteral oder über eine seit Jahren liegende PEG-Sonde verabreicht. Über diese Sonde wurde sie auch ernährt. Die Sonde wurde angelegt, bevor die Patientin in meine Behandlung kam. Ich habe damals bereits diese Form der Ernährung bei Menschen mit progressiven Leiden kritisch gesehen und tue das heute ganz bestimmt. Mehr


Zur möglichen Neuregelung der Suizidassistenz

Nationales Suizidpräventionsprogramm
Der Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Briefes des Nationalen Suizidpräventionsprogramms an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vom September 2020.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss zum § 217 StGB entschieden, dass ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben existiert und zwar in jeder Phase und jeder Lebenslage der menschlichen Existenz. Dieses Recht dürfe nicht auf fremddefinierte Situationen, wie schwere und unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebensund Krankheitsphasen, beschränkt sein und umfasse auch die Freiheit, Dritte für den Suizid in Anspruch zu nehmen. Es sei jedoch legitim, dass der Gesetzgeber verhindern wolle, dass sich der assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt. Mehr


§ 217 und das Recht auf kommerzielle Suizidhilfe – die Sicht eines im Krankenhaus tätigen Arztes

von Prof. Dr. Richard Viebahn
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 26. Februar 2020 wurde nur kurzfristig öffentlich wahrgenommen: Der Diskurs um Gesundheit wird seit Anfang März 2020 von der Corona-Pandemie dominiert. In den betroffenen Fachgesellschaften hingegen ist die Diskussion weit fortgeschritten. Es scheint akzeptiert, dass ein Grundrecht auf „selbstbestimmtes Sterben“ besteht, das weder auf schwere oder unheilbare Krankheiten noch auf bestimmte Ursachen und Motive beschränkt ist — allerdings besteht eine gewisse Ratlosigkeit im Umgang mit der Zulassung der kommerziellen Suizidhilfe. mehr


Reaktionen der Leserinnen und Leser

   Erleichtert über die Entscheidung des BVerfG
Dr. Bernd Knapp nimmt zu den Beiträgen von ÄKWL-Präsident Dr. Hans-Albert Gehle und BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt im Westfälischen Ärzteblatt 5/2020 Stellung. Mehr 

   Wer außer dem Selbst hat zu bestimmen?
Die Möglichkeit selbstbestimmten Sterbens würde den Suizid nicht normalisieren, glaubt Allgemeinärztin Ute Hülsmann. Mehr

   Innerärztliche und gesellschaftliche Debattenkultur nachhaltig ändern
Dr. Rainer Pohl stimmt den Ausführungen von Prof. Gutmann und Prof. Schöne-Seifert (WÄB 7/2020) zum Urteil des BVerfG zu und begrüßt die entstandene Diskussion. Mehr

   Nicht nur auf ein Koordinatensystem menschlicher Bedürfnisse vertrauen
Martin Thöne beschäftigt die Frage, welche Verantwortung der Mensch sich als Herr über Leben und Tod auflädt. Mehr

   Zugewinn an Freiheit begrüßen
Zum Artikel „Suizidhilfe als Grundrecht” in WÄB 7/2020 merkt Dr. Michael Müller an. Mehr

   Es geht nicht um Hilfeverweigerung, sondern um Hilfe zum guten Leben
Martin Peters hat sich mit dem Vorschlag von Dr. Bernd Knapp (Leserbrief in WÄB 7/2020) für Regeln im Zusammenhang mit Sterbehilfe beschäftigt. Mehr

   Wird Sterbehilfe-Regelung zu einer weiteren „Erfolgsgeschichte”?
Die Einschätzung des BVerfG-Urteils aus juristischer Sicht (WÄB 7/2020) überzeugt Dr. Michael Glaßmeyer nicht. Er befürchtet eine Entwicklung wie beim § 218. Mehr

   Genügend Liebe für Betroffene aufgebracht?
Den Beitrag „Ethik und Recht zwischen Würde und Autonomie“ und Leserbriefe in WÄB 9/2020 nimmt Dr. Rolf Nikolai Katterfeldt zum Anlass, auf die Bedeutung einer liebevollen Patientenbegleitung hinzuweisen. Mehr

   Beihilfe zur Suizidvermeidung
Wie sind die Suizid-Zahlen im US-Bundesstaat Oregon vor dem Hintergrund der dortigen Gesetzgebung zu bewerten? Diese Frage und einen Leserbrief von Prof. Dr. Paul Cullen aus dem WÄB 2/2021 greift Dr. Bernd Knapp auf. Mehr

   Da sind unsere Gerichte schon weiter
Zu den Auszügen aus einem Schreiben des Nationalen Siuzidpräventionsprogramms an den Bundesgesundheitsminister in WÄB 2/2021 hat Dr. Irmela Eckerlin-Wirths Anmerkungen. Mehr